POKALKOMMENTAR

Retorte erwartet Tradition

Der Pokalkommentar von Hans Zaremba

Es sind nicht nur die fehlenden Fans auf den Rängen, die durch Corona die Abläufe im Fußball gegenwärtig verwandelt haben. Parallel haben die Spielpläne gegenüber der bisherigen Praxis derzeit eine andere Struktur. So fanden die Treffen im Halbfinale des DFB-Pokalwettbewerbs 2020/21 nicht unterhalb einer Woche zwischen zwei Spieltagen in den Ligen statt, sondern an einem Wochenende. Dagegen soll das Pokal-Endspiel nun am Himmelfahrtstag vor dem Ende der Begegnungen der ersten sowie zweiten Bundesliga und nicht zum Saison-Kehraus im nationalen Fußball ausgerichtet werden.

Freut sich über den Einzug von Borussia Dortmund in das Pokalendspiel von Berlin: Der Chronist der Lippstädter BVB-Freunde, Hans Zaremba, nimmt in seiner wöchentlichen Fußball-Kolumne eine Betrachtung der DFB-Pokalhalbfinalspiele vor.

Denkweisen

Im Berliner Olympiastadion werden am Donnerstag, 13. Mai, mit RB Leipzig – ein Gebilde aus der Retorte – und Borussia Dortmund – ein Traditionsverein – zwei Clubs dabei sein, die von ihrer Geschichte und Struktur recht unterschiedliche Denkweisen des Fußballs verkörpern. Als die von einem Brausefabrikanten unterstützten Leipziger in der Saison 2013/14 in der dritten Liga aufliefen, wurden sie von der Szene mehr oder weniger als Werbeprodukt abgetan. Ein Image, das sie auch nach ihrer rasanten Entwicklung mit ihren Aufstiegen in die zweite Bundesliga (2014) und die Beletage des deutschen Fußballs (2016) nicht ablegen konnten. Im Gegensatz zu den anderen deutschen Fußballvereinen legt RB Leipzig ersichtlich keinen besonderen Wert auf eine große Zahl von Vereinsangehörigen. Ende März 2021 wurde bekannt, dass der „RasenBallsport Leipzig e.V.“, so der offizielle Name des Bundesligisten aus Sachsen, gerade mal über 21 Mitglieder verfüge. Mit Borussia Dortmund erwartet RB einen Gegner, der in diesem Jahr zum zehnten Mal in einem DFB-Pokalendspiel steht und nach seinen Siegen in 1965, 1989, 2012 und 2017 seinen fünften Triumph im seit 1952/53 ausgespielten Wettbewerb anstrebt. Auch die BVB-Erfolge in der Champions League (1997) sowie im Europapokal der Cupsieger (1966) und die acht nationalen Meisterschaften (1956, 1957, 1963, 1995, 1996, 2002, 2011 und 2012) dokumentieren eine ansehnliche Quote von Titeln. Auch die Zahl der Mitglieder von rund 154.000 ist beachtlich. Ebenso die 950 offiziell eingetragenen BVB-Fanclubs, von denen die Lippstädter „Optimisten“ am Mittwoch, 5. Mai, auf 21 Jahre ihres Bestehens blicken konnten.

Perspektiven

Ungleich waren auch die Halbfinal-Auftritte von Leipzig und Dortmund. Während die Rasenballsportler in Bremen einen Konkurrenten hatten, der ihnen alles abverlangte, gestaltete sich die Aufgabe für die Schwarz-Gelben mit Kiel ziemlich einfach. Dies belegen auch die Resultate, die für Leipzig mit dem 2:1 in der letzten Minute der Verlängerung knapp und für den BVB mit 5:0 deutlich ausfielen. Überschattet wurde die Gala der Borussen durch die schwere Verletzung ihres Verteidigers Mateu Morey in der 75. Minute, die den Akteuren die Freude am Weiterspielen nahm. Sowohl in Bremen als auch in Dortmund standen bei den Begebenheiten verstärkt die beruflichen Perspektiven der Trainer im Mittelpunkt. Mit dem Weggang des Leipzigers Julian Nagelsmann nach München steht bereits eine Veränderung fest. Womöglich könnten sich auch die künftigen Aufgabenfelder der Männer aus Bremen und Dortmund variieren, während der Kieler Ole Werner wohl bei den Störchen bleiben dürfte. Ob jedoch der Rekordmeister gut beraten war, für die beträchtliche Ablöse von 20 bis 30 Millionen Euro aus Sachsen einen relativ jungen Betreuer an die Säbener Straße zu holen und mit einem Fünfjahresvertrag auszustatten, ist mit Blick auf das rasche Scheitern von Jürgen Klinsmann, Carlo Ancelotti und Niko Kovac in München zumindest zu hinterfragen. Auch im Umfeld von Dortmund soll infolge des augenblicklichen BVB-Laufs in der Regie von Edin Terzic über die Erfordernis der Verpflichtung von Marco Rose diskutiert worden sein. Es ist kaum vorstellbar, dass sich der Borussia-Interimscoach nach einem Pokalsieg der von ihm geleiteten Equipe hinter dem aus Mönchengladbach geholten neuen Chef einordnet. Vielmehr dürfte für den deutsch-kroatischen Fußballlehrer ein neuer Arbeitgeber in Betracht kommen. Genauso unklar ist die Lage des Bremers Florian Kohfeldt, obwohl er nach dem couragierten grün-weißen Match von seinem Sportchef Frank Baumann eine Job-Garantie für die noch ausstehenden drei Ligapartien gegen Leverkusen, in Augsburg und mit Mönchengladbach erhalten hat. Selbst beim Klassenerhalt von Werder könnte für den 38-jährigen seine seit 2001 währende die Zeit an der Weser vorbei sein.