Deutschland greift nach dem Titel

Der WM-Kommentar von Hans Zaremba

Wer vor der WM in Brasilien prophezeite, Deutschland wird sich im Halbfinale mit einer Leerstunde im Land des Fußballs gegen den Gastgeber durchsetzen und als Favorit ins Endspiel einziehen, wurde von etlichen Zeitgenossen an den Stammtischen und am Arbeitsplatz meist belächelt. Vorwiegend skeptisch wurden von den (vermeintlichen) Experten in den Fernsehanstalten und Redaktionsstuben der Printmedien die Perspektiven der DFB-Auswahl beim Turnier in Südamerika bewertet.

Zuversicht ist ihr Programm als Verantwortliche der heimischen BVB-Freunde:Das gut behütete optimistische Trio aus Lippstadt mit Roland Jathe, Hans Zaremba und Bernhard Scholl. Foto: Wolfgang Meyer

Betrachtungen

Joachim Löw: Doch am Dienstagabend hat sich die vom Bundestrainer formierte Auswahl, die mitunter während der Tage am Zuckerhut auch extrem biedere Spiele abgeliefert hatte, mit fünf Buden in nur 18 Minuten in einem regelrechten Rausch hineingesteigert und sich die Finalteilnahme gesichert. Das 7:1 wird auch jene in Lippstadt und anderswo behagt haben, die immer noch dem seit 2006 amtierenden Joachim Löw misstrauen. Die DFB-Equipe zeigte eine unglaublich effiziente Verwertung ihrer Chancen (zehn Torschüsse und sieben Treffer). Überragender Akteur der Crew aus der Bundesrepublik war der an der Angel von Real Madrid befindliche Mittelfeldspieler des FC Bayern München, Toni Kroos, der gegen die von Luiz Felipe Scolari betreute Seleção sein bisher wohl bestes Länderspiel absolviert hat.

Luiz Felipe Scolari: Der Übungsleiter der siegreichen Elf von Brazil bei der WM 2002, die in Yokohama mit 2:0 über Deutschland den Titel holte, hatte es dem Gegner allerdings auch leichtgemacht, zu glänzen. Niemand konnte auf der brasilianischen Seite den im Viertelfinale schwerverletzten Superstar des FC Barcelona, Neymar da Silva Santos Junior, ersetzen. Darauf hatte der einstige Erfolgscoach sein ganzes System zugeschnitten. So konnte Deutschland mit einer beeindruckenden Organisation und taktischer Disziplin, geschickten Passwechseln und vor allem mit Entschlossenheit auftrumpfen. Der Betreuer des fünfmaligen Weltmeisters, der 2004 auch Portugal ins EM-Finale führte, wird für viele Jahre mit der größten Schmach in der Geschichte des Fußballs seiner Heimat leben müssen. Damit dürfte gar auch das bisher heftigste Trauma von Brasilien (1:2 im Maracanaço von Rio de Janeiro im Match mit dem kleinen Uruguay um den WM-Sieg von 1950) in Vergessenheit geraten.

Louis van Gaal: Der im Frühjahr 2011 beim Bundesligisten FC Bayern gescheiterte Niederländer wollte als Bondcoach sein Oranjeteam 40 Jahre nach dem verlorenen WM-Finale von München (2:1 für die von Helmut Schön aufgebotenen Adlerträger) in die Revanche gegen Deutschland führen. Doch diese Illusion hat mit der Pleite von 2:4 im Elfmeterduell gegen Argentinien am frühen Donnerstagmorgen ihr bitteres Ende gefunden. Die Elftal verpasste damit den Einzug in ihr viertes Finale nach 1974, 1978 und 2010 und die Chance, zum ersten Mal eine WM mit dem Pokalgewinn zu beenden .Es war die vom eigenwilligen Fußballlehrer der Niederländer bestimmte Taktik, die zu dieser Ernüchterung führte

Alejandro Sabella: Nun gibt es nach 1986 in Mexiko und 1990 in Italien die dritte Auflage des Zweikampfs zwischen Deutschland und Argentinien um die prestigeträchtigste Trophäe im Fußball. Der Mann an der Seitenlinie der Gauchos ist in Europa kaum bekannt und seine Überlegungen lassen sich somit nur schwer ausrechnen. Öffentlich ist eigentlich nur, dass er zum Amtsantritt vor drei Jahren seinen wirksamsten Mann Lionel Messi zum Spielführer berufen hat. Das Beste an dem enttäuschenden Semifinale zwischen Argentinien und Holland ist die Feststellung, dass sich der DFB vor dem Endspiel am Sonntag nicht fürchten muss. Wenn die vom deutschen Trainerstab eingesetzten Spieler nicht abheben, können sich auch diese Männer wie ihre Vorgänger der siegreichen Auswahlen für die Wettkämpfe in 1954, 1974 und 1990 als Weltmeister in die Geschichtsbücher eintragen.